Im Inneren der Sprache
»Remember what is gone -
The magic sun that lit Kortirion!«
J.R.R. Tolkien
John Ronald Reuel Tolkien war Professor für englische Sprache an der Universität Oxford (Foto J.R.R. Tolkien). Schon in seiner Jugend interessierten ihn altenglische und altnordische Mythen, Sagen und Märchen sowie phantastische Erzählungen. Während seiner Schulzeit vertiefte er seine philologischen Interessen und entdeckte die altenglische Literatur, vor allem das altenglische Versepos Beowulf. Er beschäftigte sich mit den mittelalterlichen Versdichtungen Sir Gawain and the Green Knight, Pearl und Orfeo, die er später bearbeitet neu übersetzte. Schließlich wandte er sich auch dem Altnordischen und dessen Mythologie sowie den isländischen Sagas zu, die er im Original las. Seine linguistischen Kenntnisse, seine Experimentierfreude sowie sein Gefühl und Talent für Sprachen ermöglichtem ihm seit seiner Schulzeit, eigene, künstliche Sprachen zu erfinden, die er später für seine erfundenen Kulturen Mittelerde, Beleriand oder Númenor perfektionierte. Erst postum veröffentlichte sein jüngster Sohn Christopher die Geschichte hinter der Geschichte seiner Erzählungen The Hobbit und The Lord of The Rings unter dem Titel The Silmarillion in überarbeiteter und vervollständigter Form. Seine Arbeit am Silmarillion begann Tolkien bereits nach seiner Rückkehr aus den Schützgräben der Somme um 1916. Mit diesem Werk, dass in zahlreichen Versionen existiert, begann ein lebenslanger Prozess, den er nicht beenden konnte. Vor dem Hintergrund der Überlieferungen, von denen er im Simarillion erzählt, entfaltet sich sein gesamtes erzählerisches Werk. Er selbst erklärt in seiner Allegorie Leaf by Niggle (1945) seine Arbeitsweise: Sein Protagonist Tüfftler bemüht sich vergeblich einen fantastischen Baum zu malen. Doch sein Meisterwerk wird nicht fertig, da er Blätter besser malen kann, als Bäume. Einige seiner sprach- und literaturwissenschaftlichen Beiträge gelten als bedeutende und wegweisende Beiträge zur Philologie; beispielsweise sein Essays Beowulf: The Monsters and the Critics (1936) und Über Märchen (1939).
1911 gründete Tolkien mit einigen Freunden den T.C.B.S. (Tea Club – Barrovian Society), einen Club, der sich regelmäßig traf, um über literarische Fragen zu diskutieren. In diesem Kreis, so heißt es, soll Tolkien, von Francis Thompson inspiriert, seine ersten Gedichte vorgetragen haben.
Ende 1911 nahm Tolkien sein Studium am Exeter College in Oxford auf. Zunächst studierte er die klassischen Sprachen (Latein und Griechisch), beschäftigte sich mit der Literatur dieser antiken Kulturen, lernte Walisisch und fand darüber hinaus zur Vergleichenden Sprachwissenschaft. Nach 1912, schreibt sein Biograph, begann Tolkien sich mit dem Finnischen auseinanderzusetzen und lernte die Kalevala kennen. Jahre später nutzte er diese Studien bei der Konstruktion der Hochelbensprache Quenya.
Aufgrund seines zunehmenden Interesses an den germanischen Sprachen wechselte er ab 1913 in das Institut für englische Sprache und Literatur. Dort las er im Rahmen des anspruchsvollen altenglischen Literaturkanons das Werk Crist des angelsächsischen Dichters Cynewulf, dem er seine Inspiration für seinen Simarill-Protagonisten Earendil und den Namen seiner fiktiven Welt Mittelerde (middangeard) fand:
ala Earendel engla beorhtast
ofer middangeard monnum sended
Heil dir Earendel, strahlendster Engel,
über Mittelerde den Menschen gesandt
Tolkien war davon überzeugt, dass der Name Earendel (Lichtstrahl) auf die Venus als Morgenstern hinweist, der mit seinem Aufgehen das Ende der Nacht und den Anbruch des Tages ankündet. Dieses mystische Erlebnis bei der Lektüre des Crist kann als Geburtsstunde seiner fiktiven Mythologie angesehen werden:
I felt a curious thrill, as if something had stirred in me, half wakened from sleep. There was something very remote and strange and beautiful behind those words, […] far beyond ancient English.
Ein Jahr später schrieb er das Gedicht The Voyage of Earendel the Evening Star, das mit den oben zitierten Zeilen beginnt. Von einem Freund auf die Bedeutung des Earendil-Gedichts angesprochen, soll er geantwortet haben: I don’t know. I’ll try to find out. Dieses schriftstellerinsche Credo ist charakteristisch für Tolkien, der sein Werk nicht als Neuschöpfung, sondern als Entdeckungsreise verstanden hat - seine Mythologie, eine andere Welt, in der er sich forschend bewegen konnte.
Tolkiens Teilnahme am ersten Weltkrieg endete 1916, als er sich in den Schützengräben der Somme-Schlacht mit Fleckfieber infizierte und zurück nach England kam. Noch während seines Genesungsaufenthalts begann er ein literarisches Projekt, das in der damaligen Literatur ohne Vorbilder war: die Erschaffung eines vollständigen Sagenzyklus, der mit einer Kosmogonie (Ainulindalë) beginnt und mit dem Untergang des Ersten Zeitalters im War of Wrath, dem Krieg des Zorns, in der Earendil-Saga endet: die Erzählungen in The Book of Lost Tales, den Verschollenen Geschichten, das schließlich als Silmarillion publiziert werden sollte. Schon hier verwendete Tolkien als narrativen Hintergrnd die von ihm erfundenen Sprachen der Eldar (Quenya) und der Edain (Sindarin) mit einer funktionalen Grammatik und umfangreichem Vokabular.
Als 1925 der Rawlinson-und-Bosworth-Lehrstuhl für Angelsächsisch in Oxford vakant wurde, bewarb sich Tolkien und erhielt die Anstellung, unter anderem durch die Qualität seiner Sir Gawain-Übersetzung. Ein Jahr später gründete er die Kolbitar, die Kohlenbeißer, einen Literaturkreis, der sich mit den isländischen Sagas und den Edda-Texten beschäftigte. 1927 schloss sich auch Clive Staples Lewis, Autor der Chroniken von Narnia, dem Kreis an, der ein enger Freund und Kritiker Tolkiens wurde.
In diesen Jahren begann Tolkien seinen Kindern fantasievolle Geschichten zu erzählen. Aus dieser Zeit stammt beispielsweise die Erzählung Roverandom, die auf das Verschwinden eines Spielzeughundes seines zweiten Sohnes Michael zurückgeht. Obwohl Tolkien damals bereits an der Konstruktion seiner fiktionalen Mythologie arbeitete, fehlen in diesen Erzählungen Hinweise auf seine Mythologie.
Das änderte sich erst mit dem Roman The Hobbit, an dem Tolkien ab 1930 zu arbeiten begann, in dem sich zahlreiche Audeutungen auf die Verlorenen Geschichten, auf Gondolin, das Erste Zeitalter und den Nekromanten finden. Diese Andeutungen geben dem Hobbit eine fiktive historische Tiefe und ein quasi-mytholgisches Fundament. Durch Empfehlung wurde der Verlag Allen und Unwin auf seine Erzählung aufmerksam, die dann 1937 veröffentlicht wurde.
Durch den Erfolg des Hobbits drängte der Verlag Tolkien zu einer Nachfolgeerzählung, die er zunächst als weiteres Kinderbuch anlegte, und die den Keim zu Der Herr der Ringe enthielt. Ende der 1930er Jahre hielt Tolkien bei den Inklings, einem weiteren literarischen Club, dem er angehörte, den vielbeachteten Vortrag On Fairy-Stories (Über Märchen), in dem er die Grundsätze des später entstehenden Fantasy-Genres beschrieb und energisch gegen die Vorwürfe des Eskapismus verteidigte. Sein Perfektionsmus und der Wechsel auf den Lehrstuhl für Anglistik der Universoität Oxford im Jahre 1945 unterbrach seine Arbeit an seinem Opus magnum das nur auf Druck seines Verlegers 1954 veröffentlicht werden konnte. Die vom dem amerikanischen Verlegern Donald A. Wollheim von Ace Books für 1964 geplante Taschenbuch-Neuauflage lehnte Tolkien aus Qualitätsgründen ab. Diese Zurückweisung führte dazu, dass D.A. Wollheim eine Lücke in den Urheberrechten ausnutzte, um einen Raubdruck des Herrn der Ringe in Umlauf zu bringen. Es war dieser in den Vereinigten Staaten publizierte Raubdruck, der den Weltruhm des Werks begründete und eine anhaltende, weltweite Kultbewegung auslöste.
Fiktion und Vision, Traum und Erinnerung
Wie die Mythologie ist auch die Astrologie, deren analoge Bildersprache die des Mythos ist, keine anerkannte psychologische Diagnostik. Schon die Mythologie als Psychologie der Antike anzuerkennen, fällt manchem aufgeklärten Wissenschaftler schwer genug. In den antiken mediterranen Kulturen, aus denen unsere heutige Kultur hervorging, galt die Mythologie als Kompendium und Verhaltenskodex eines richtigen und tugendhaften Verhaltens. Die Ablehnung der Astrologie mag hinsichtlich der Ereignisse voraussagenden, dubiosen Sonnenstand-Astrologie in der Regenbogenpress nachvollziehbar und sinnvoll sein. Eine seriös betriebene Astrologie, die dem Charakter und der Persönlichkeit eines Menschen gewidmet ist, die nicht vorhersagt, sondern das individuelle Gewordensein untersucht, verdient diese Bewertung nicht.
JRR Tolkien wurde am 3.Januar 1892 in Bloemfontein, Oranje-Freistaat, geboren und starb am 2. September 1973 in Bournemouth. Seinem literarischen Werk verdankt die Phantastische Literatur Impulse, die noch immer nachwirken. Heutzutage gibt es fantastische Erzählungen vor und nach Tolkien, was narrativ, besonders was die Erzähltechnik betrifft, einen Unterschied macht. Sein Roman Der Herr der Ringe, der erstmals 1969-1970 auf Deutsch erschien (The Lord of the Rings, 1954-1955,) ist eines der erfolgreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts und begründete die moderne Fantasy-Literatur.
Ein Blick auf Biographie und Werk Tolkiens erschließt unmittelbar zwei besonders auffällige Konstellationen seines Geburtshoroskops, die ich im Sinne von Thomas Rings psychologischer Astrologie interpretieren werde.
Beide Komponenten werfen ein Licht auf die psychischen Motive, die seine Dichtung motivierten. Eine Konzentration auf diejenigen astrologischen Einflüsse in Tolkiens Geburtshoroskop, die mit den Bereichen Mythos, Fiktion, Vision, Traum und Erinnerung korrespondieren, rückt die Planeten Jupiter und Mond, beide in den Fischen und am Deszendenten, in den Fokus der Betrachtung. Entsprechend astrologischer Diktion ist Jupiter in den Fischen erhöht, repräsentiert hier Mitgefühl und Hingabe, woraus ein beträchtliches Maß an Idealismus folgt. In den Fischen tendiert Jupiter dazu, sich einem höheren Ideal hinzugeben, diesem unter Umständen auch andere biographische Bereiche zu opfern. Seine Universitätskollegen waren der Meinung, Tolkien vernachlässige seine universitäten Aufgaben zugunsten seiner schriftstellerischen Arbeit. Besonders auffällig drückt sich dieser Umstand in der für eine lange Universitätslaufbahn geringen Anzahl wissenschaftlicher Publikationen aus. Nach astrologischer Theorie repräsentiert der Planet Jupiter ebenfalls Optimalstreben und Wertgerichtetheit, wozu in den Fischen Hingabe an das Letztmögliche hinzukommt. Ein Mensch mit Jupiter in den Fischen ist vom Sinn und der Bedeutung seines Auftrags durchdrungen, im 7. Haus immer in Bezug auf das Du. Übermaß und Maßlosigkeit, problematische Verwirklichungen dieser Konstellation, müssen durch bewusstes Üben und Maßhalten gelenkt werden, da es sonst leicht passiert, dass sich kein Erfolg in der Realisierung von Zielen einstellt. Tüfftlers Verzettelung, die Tolkien in Leaf by Niggle schildert, sein Verfolgen von allen sich bietenden Gelegenheiten, ist ein Beispiel dieses Übermaßes. Dass ihm die Kanalisation seiner Fähigkeiten letztlich trotzdem gelingt, die ungewöhnliche Konzeption seines literarischen Werks, und er sich nicht ganz in kognitiver Strukturlosigkeit verliert, verdankt Tolkien seiner Steinbock-Sonne, insbesondere der strukturierenden Postion Merkurs im Steinbock sowie dem ordnenden Prinzip seines Aszendenten in der Jungfrau.
An Idealen ausgerichtet stehen ein sensibles Gespür für Selbstvervollkommnung und Weiterentwicklung im Vordergrund seiner Aktivitäten, wobei diese leicht durch unkritische und ziellose Einstellungen und Fluchttendenzen behindert werden können. In seinem Wissen nicht zu ertrinken, in der Fülle seiner Informationen und Erkenntnise nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren, konnte für Tolkien zu einer ernsthaften Herausforderung werden. Für ihre Vision des Idealen und umfassenden Zieles einzutreten, scheuen sich Persönlichkeiten mit Jupiter in den Fischen nicht, Wagnisse auf sich zu nehmen, auch dann nicht, wenn sie auf harte Kritik stoßen. Eine große, expansive und beeindruckende Energie, Vorstellungskraft und innovative Eigenschaften stehen ihnen zur Verfügung. Selbstvertrauen und Zuversicht entwickeln sich im Verlauf auf dieser Basis, insbesondere dann, wenn sie sich mit einem spirituellen, sozialen oder künstlerischen Ziel verbinden, drei Zielen, denen Tolkiens Werk in besonderem Maße verpflichtet ist. Die astrologische Theorie besagt, dass Menschen mit dieser Jupiter-Stellung ein besonderes Vorstellungsvermögen, ein intuitives Wissen um das Leben, oder eine umfassende Vision besitzen.
Tolkiens Auseinandersetzung mit Mythologie und vergangenen Kulturen hielten für ihn ein besonderes Versprechen für die Zukunft bereit. Seine Jupiter-Stellung zeichnet sich nicht nur durch seine Hingabe an eine Sinnstiftung durch verpflichtende Werte aus, die seine Protagonisten, wie beispielsweie Gandalf, vertreten, es gelingt ihm nicht nur, sie für andere künstlerisch zum Ausdruck zu bringen, er schafft es auch, die Themen aufzugreifen, die seine Mitmenschen bewegt (7. Haus; Venus in Wassermann). Da gesellschaftliche Interessen und Aktivitäten mit Jupiter im siebten Feld korrespondieren, das Du in den Blick gerät, benötigt der Horoskopeigner die Freiheit, die vielfältigen Facetten des Lebens auszuschöpfen, sein Geist sehnt sich nach Befreiung von den Einschränkungen durch die Materie, benötigt diese aber auch, um eine konkrete Ausdrucksform zu finden. Tolkien hat von dieser ambivalenten Spannung zwischen Freiheit und Nähe gezehrt, sie war sein Lebensthema und er hat sie in Blatt von Tüftler als die polare Beziehung zwischen einem ungleichen Paar, dem Maler Tüftler und seinem Nachbarn Paris, geschildert. Erst nach seinem Tod, in einer Art Jenseits, gelingt es Tüftler diese Spannung zu versöhnen. Als sich Tüftler für seinen einst lästigen Nachbarn einsetzt, ihm zur Transzendenz verhilft, gewinnt er einen neuen Blick auf seine künstlerische Arbeit. In der Erzählung heißt: Es ist Tüftlers Bild, oder das meiste davon: ein wenig ist es jetzt auch Paris’ Garten.
Im siebten Feld richten sich diese Fähigkeiten und persönlichen Eigenschaften auf die Beziehungen zu anderen Menschen. Entsprechend dem Zeichen Waage mit der Wassermann-Venus als Hausherrscherin formiert sich solches Interesse am Mitmenschen vorwiegend über philosophische Aktivitäten, ist aber ohne weiteres auch in der künstlerischen Aktivität denkbar. Jupiters Tönung durch das siebte Feld verleiht Tolkien ein Gespür für gesellschaftliche Trends und dafür, was anderen gefällt. Diese Fähigkeit äußert sich bei ihm nicht allein durch die Geschichten, die er für seine KInder erfindet, und die ihn der Geburt des Hobbit enden, sondern auch in seiner ungewöhnlich großen und anhaltenden Popularität in der Literaturszene, die selbst das Erscheinen der Harry-Potter-Serie nicht schmälern konnte. Mit dieser Jupiter-Position ist eine solche Entwicklung aber nicht überraschend.
Sein starkes Bedürfnis nach intellektueller Aktivität verbindet sich nur einerseits mit der Begeisterung für Ideale aktiv einzutreten, andererseits öffnet es sich über die Mond-Fähigkeiten für Traum und Vision. Für Thomas Ring repräsentiert der Mond das Traumhafte: Phantasie, als psychischer Ur-Sachverhalt, steht enger auf das eigene Selbst bezogen in Zusammenhang mit dem Gemüt. Nicht unbeteiligt gibt jene uns ein Schauspiel, sondern fühlend spielen wir an ihren Bildern unser inneres Drama durch. Die Grundfunktion des Fühlens wird je nach gegebenen Stoffen bzw. »Anlässen« zu bestimmten Gefühlen, umgekehrt, wenn Fühlen an bestimmte Inhalte des Gemüts rührt, kleiden diese sich bildhaft ein, angelehnt an das empirisch Nächstliegende oder mit der Freiheit des dichterischen Symbols. ( .. ) Mit Mond in hervorgehobener Stellung kann Gemüt, schöpferische Phantasie und Einfühlung zur beherrschenden Note werden. Die Stellung des Mondes im Horoskop kann die Beziehung des Horoskopeigners zu seiner Mutter symbolisieren. Das innere Drama, auf das Thomas Ring hinweist, das Tolkien an inneren Bildern fühlend durchspielt, schildert Humphrey Carpenter in seiner Tolkien-Biographie.
Tolkiens Fische-Mond erweitert und ergänzt die durch Jupiter geförderten Persönlichkeitsmerkmale. In den Fischen partizipiert der so gestellte Mond an einer grenzüberschreitenden Fantasie und einer unerschöpflichen Einbildungskraft neptunischer Provenienz, überlässt sich sensibel dem universellen Lebensstrom, umgebungsabhängig und beeinflussbar, dennoch ungebunden und sich festem Zugriff entwindend.
Auf welche Weise Tolkien seine Mond-Fähigkeiten literarisch nutzte, belegt ein kurzer Artikel, der die Präsenz des altnordischen Óðinn in Tolkiens Erzählungen nachweist
Majorie Burns zeigt anschaulich, dass die Komplexität der Protagonisten Manwë, Melkor-Morgoth, Gandalf, Sauron und Saruman durch mehrdimensional verflochtene óðinnische Persönlichkeitsmerkmale charakterisiert sind, Teilpersönlichkeiten Óðinns, inkarniert in antagonistischen Handlungsträgern. Angesichts dieses Sachverhalts wird deutlich, dass Tolkien seine Protagonisten kaum bewusst und planvoll entwickelt haben kann, sondern dass sich deren Persönlichkeit wie von selbst schreibend entwickelte, unbewusst genährt aus dem reichen Reservoir mythologischer, historischer und linguistischer Kenntnisse, die sich Tolkien seit seiner Kindheit angeeignet hat. Der imaginative Aspekt seiner Textproduktion scheidet Tolkien den Dichter von Tolkien dem Schriftsteller und Wissenschaftler. Richtend und sich selbst disziplinierend wirkt dabei der saturnische Einfluss (Saturn in Waage) auf Sonne (Steinbock) und Merkur (mit Saturn Quadrat) in Tolkiens Horoskop auflösenden Tendenzen entgegen, sodass seine Personen ein deutlich personales Profil und glaubwürdige Identität gewinnen. Der saturnische Einfluss errichtet aber gleichzeitig Spannungen und Widerstände gegenüber dem produktiven Streben nach der Hingabe an das Letztmögliche (Jupiter in den Fischen), sorgt dabei aber auch für ein Maßhalten im Maßlosen. In seiner autobiographischen Erzählung Leaf by Niggle, um darauf noch einmal hinzuweisen, beschreibt Tolkien selbstkritisch sein Verzetteln in sich bietende Gelegenheiten. Etymologisch kompetent liefert er die Bedeutung des Namens gleich mit: to niggle, planlos handeln, Zeit auf belanglose Details verschwenden.
Als das Sinngebende charakterisiert Thomas Ring das Prinzip Jupiter, und denkt dabei an die Pflege von Werten, den planenden Weitblick, aber ebenso an Überschuss, die Extensität des Aufschwungs, an die gläubige Begeisterung, die Tolkiens Fische-Mond in sensible Imaginationen umsetzt, und die der Autor selbst mit Fantasie (Mond) sowie Wertgerichtetheit, Optimalstreben und sinnhafter Rückbindung (Jupiter) in seinem Werk verbindet.
Die Struktur und Beharrlichkeit, mit der Tolkien lebenslang seinem visionären Ziel verpflichtet blieb, konfiguriert die Spannung zwischen Fische- und Steinbockkonstellation (Sonne im fünften Haus Steinbock), wobei das fünfte Haus nicht allein personale Selbstdarstellung auf größerer Bühne, sondern auch künstlerische Kreativität und Produktion symbolisiert. Die Wirkung von Tolkiens Werk liegt in der Ambivalenz, die sich aus stringent konzipierten, auf Zukunft ausgerichtete Ideale sowie deren ständige Bedrohung durch als irrational gefürchtete Kräfte ergibt. Gerade in dieser Spannung liegt Tolkiens Schnittstelle mit der modernen Welt, deren postreligiösem Hunger nach Mythen: Als neptunisch gelten im kollektiven Maßstab die Illusionen einer Zeit, die hypothetischen Voraussetzungen, unter denen man sich im Gegebenen einrichtet und auf eine utopische Zukunft hin lebt. [...] Urtümliches und Zukunftsträchtiges reichen sich dabei die Hand, beides gleich nebelhaft, was auf die Unterscheidungskraft naiver Geister verwirrend einwirkt. Unter Umständen schöpferische Imagination. [...] Es handelt sich normalerweise um subtile Ausgleiche des Alltäglichen in der Zuwendung zum Geheimnisvollen, Berauschendem am Rande des Möglichen und Erträglichen; wie Thomas Ring Neptun interpretiert. In Tolkiens Persönlichkeit sorgt Neptuns Stellung in den Zwillingen, der außerdem einen Spannungsaspekt, ein Quadrat, zu seinem Mond bildet, für das Bedürfnis nach Austausch und Kommunikation dieser Inhalte. Neptun im 9. Haus, der außerdem noch in einer weiten Konjunktion zu Tolkiens MC steht, überträgt dieses Bedürfnis in seine berufliche Karriere, woran erneut Jupiter als Hausherrscher beteiligt ist. So wurde er zum Erforscher der inneren Welt der Mythologie, die unter der Oberfläche des Alltäglichen brodelt. Tolkiens Absicht bestand darin, eine Mythologie für England zu schreiben. Dieser Plan erforderte es, den vielen Mythenfragmenten und -abbrevationen, mit denen er konfrontiert wurde, ihren Sitz im Leben zurückzugeben, wie er es mit dem Earendil-Fragment des Crist vorführte.
Das Besondere an Tolkiens literarischem Werk liegt in der Vision einer fiktionalen Mythologie (Mond) für England wie sie vor ihm noch niemand umgesetzt hat. Mit seinen Protagonisten Eriol und Ælfwine, seinen literarischen Alter Ego-Protagonisten, träumt er sich in die alltäglicher Erfahrung unzugänglichen Welten von Mittelerde, um die verschollenen Geschichten zu suchen und für die Nachwelt zu bewahren. Diese Vision machte Tolkien zum Dichter und Schriftsteller (Jupiter und Mond), dem der dokumentierende und analysierende Wissenschaftler zur Seite stand (Merkur und Saturn).
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